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Reinhard Knodt: Mono no aware - René Böll und Hölderlin
 

Der Ausdruck mono no aware  (物 の   哀   れ) wird im Englischen mit  „the pathos of things“ übersetzt. Das könnte im Rahmen unserer  Korrespondenzphilosophie  „Der Atemkreis der Dinge“ sein, also das, was uns an den Dingen atmosphärisch betroffen macht und ergreift, auch ohne dass wir schon die Einzelheiten dieses Betroffenseins sofort isolieren könnten. Das (chinesische) Schriftzeichen dafür, 哀  wird mit Betroffenheit  übersetzt, hat aber auch die Bedeutung der Trauer. Durch den Konfuzianer Motoori Norinaga (1730 – 1801) einem Goethe-Zeitgenossen, wird dieses Prinzip im 18. jh. als die  typisch japanische Art ästhetischer Welthabe identifiziert und weitläufig  beschrieben. Worum es im Kern geht, ist nicht so leicht herauszuschälen. Wir sind manchmal fröhlich und manchmal traurig, diese Stimmungen werden von etwas in der Welt um uns erzeugt, doch nicht immer von Handlungen, sondern sehr häufig auch von Umgebungen, Dingen oder deren Konstellationen oder Verläufen, so dass wir uns dann gewissermaßen selber beim Betrachten derselben und auch unseren Stimmungen bewußt begegnen. „Therefore“ so weiter Norinaga “to know mono no aware is to discern the nature of happiness or sadness while experiencing the world.2  Das heißt, wir werden von einer Tmosphäre nicht einfach so beeinflusst, wir erleben sie vielmehr als Beeinflussendes indem wir die Welt erfahren.

Mono-Aware heißt also nicht etwa einfach,Traurigkeit oder Glücksgefühle zu pfelgen, vielmehr schon geht es um das Wissen einer Beziehung zwischen diesen und der Welt, einer Beziehung allerdings, die nicht intellektuell durch Begriffe gegeben ist, sondern als gewusste Stimmung oder zumindest Stimmungstönung.  Das Faszinosum des Mono no Aware ist also weder die Stimmung selbst noch das Wissen um sie, sondern  ein zusätzliches Wissen, aus dem heraus nun die atmosphärische Deutung und damit auch die Deutugn der Welt erfolgt.  Besonders geeignet, uns auf diesen zusammenhang zu stoßen, so Norinaga, sind Konstellationen,  die den Aspekt des Hinschwindens, der Endlichkeit und der Vergeblichkeit und seiner Wirkung auf uns zeigen. Diese lassen uns nämlich  tief  in ein immer drohendes Nichts blicken, das uns umsteht und dem wir nun, statt in Trauer zu zerfließen oder panisch zu werden, eine Art gefasste, ja mitunter sogar freudige oder trostreiche Wehmut entgegensetzen. Verkürzt könnte man von Einsicht aus Traurigkeit sprechen oder noch besser von einer Aufhebung der Trauer  durch das zugleich empfundene Glück der Einsicht ins Wesen der Dinge. Mono no Aware und Einsicht in den großen Gang der Dinge ist für Nurinaga geradezu identisch: „When we ask the question why human thoughts are so deep, I can only say that it is because they know mono no aware. Whenever a man performs an action, every time he comes in contact with this action, his heart is moved322 and is unable to stand still. To be moved means to have a variety of sentiments, such as being happy at times, sad at others; orbeing angry, or joyful, or delightedly interested, or terribly worried, or full of love and hatred, or longing for someone, or being disgusted. In other words, the heart is moved because it knows mono no aware.“  (S.172)

Nehmen wir etwa das Kirschblütenfest Hanami, das die Japaner jährlich mit hohem Aufwand begehen. Hier geht es, so Noriga, nicht einfach um den Rausch der Blütenpracht, Piknicks, Lieder oder Gartenfeste, sondern darum, dass die  Blütenpracht nur wenige Tage dauert und das Kirschblütenblatt genaugenommen bereits mit dem Aufblühen wieder vergeht, so dass ihm gewissermaßen nachgeeilt werden muss, um es vor seinem Ende noch schnell zu geniessen. Das immer schon ahnbare Nichts, das Verlöschen aller Blütenpracht gehört also mit zur Festlichkeit, so wie im Fall aufkeimender Liebe oder anderer Gefühlskonstellationen das Gefühl, es könnte jetzt gleich wieder zu Ende sein, mit dazugehört. Aware ist damit also nicht das Gefühl sondern das Wissen um die Korrespondenz von Welt und Gefühl, eine atmosphärische Sensibilität, die tiefer reicht als bis zur Teilnahme an der allgemeinen Freude. Es ist die Reflexion auf das Spiel der Welt, das dieses Gefühl für einen kurzen wundersamen Moment freigibt und im nächsten eben wieder zum Verlöschen bringen kann. Vorübergehende Freude einer im Moment glückenden Korrespondenz in ihrem Erkanntsein als Vorübergehende, das „Ach!“ (Hermann Glaser) der Seufzer der Lust und des verhaltenen Schmerzes in dem, was die Briten  „the aahness of the things“,  der Moment indem man über mehr staunt als nur über das Phänomen - Wehmut in Schönen, mono no aware.

 

In der deutschen Literaturgeschichte spricht man um die Wende des 18. zum 19. Jh. vom  Zeitalter der Empfindsamkeit, dem die „sentimentalische“ Dichtung entspricht, einer Literatur, die der Vergeblichkeit und dem Umgang mit dem Verfall große Entwürfe widmet. Ein Beispiel ist der Roman „die

Wahlverwandtschaften“ Goethes und wo könnte die Liebe zum Vergänglichen und der gefühlvolle Umgangmit dem Verlust, besser erfaßt sein, als ausgerechnet auf einem Friedhof, den die  Protagonisten gestalten:

»Lasst uns den nächsten Weg nehmen, sagte er (Eduard) zu seiner Frau (Charlotte) und schlug den Pfad u ber den Kirchhof ein, den er sonst zu vermeiden pflegte. Aber wie verwundert war er, als er fand, dass Charlotte auch hier fu r das Gefu hl gesorgt habe. Mit möglichster Schonung der alten Denkmäler hatte sie alles so zu vergleichen und zu ordnen gewusst, dass es ein angenehmer Raum erschien, auf dem das Auge und die Einbildungskraft gerne verweilten. Auch dem ältesten Stein hatte sie seine Ehre gegönnt.  Eduard fu hlte sich sonderbar u berrascht, wie er durch die kleine Pforte herein trat; er dru ckteCharlotten die Hand und im Auge stand ihm eine Thräne«.14

Die Trauer um das Vergehende, in der noch die ehemalige Freude mitklingt, der ausdrückliche Verzicht auf das energische Herumdrehen der Psyche zu vorgeblich neuen Heldentaten (was heute im Seelencoaching Depressiver leider der bevorzugte Gestus ist) und stattdessen das Einstimmen ins gewissermaßen grob ornamentierte Vergängliche tritt uns in René Bölls Bildern direkt entgegen, zumindest in den Tusche-

Arbeiten, von denen hier kurz die Rede sein soll.  Das zunächst dominierende, zunächst vielleicht auch Befremdliche ist zum Einen die morbide Anmutung eines ahnbaren oder oft sogar kenntlichen Totenschädels hinter allen Pinselgesten, ein Totenschädel allerdings, dem das Grauen teilweise wieder genommen ist, etwa durch eine Augenbinde oder durch das Verbergen der Augenhölen. Dazu lesen wir – mehr oder weniger schmucklos und rauh hinnotiert etwa Hölderlins Frage „wozu Dichten in dürftiger Zeit“ oder  - noch weitausgreifender - die berühmten Zeilen „Denn sagen hört ich Noch heut in den Lüften: Frei sei'n, wie Schwalben, die Dichter. …“.  - Sie stammen aus dem Gedicht  „Die Wanderung“, in dem es um Heimatliebe und Verlassen der Heimat, Aufbruch und Vergeblichkeit allen Aufbrechens geht.

Besser als in diesem Gestus läßt sich das Prinzip des mono no aware kaum wiederentdecken.

 

 In Tanizaki Jun'ichiros „Lob der Meisterschaft“ (1930) ist Mono no aware auch das Zeichen der Meisterschaft selbst, denn wo das Wichtigste angestrebt ist, gilt weder Virtuosität noch Selbstdarstellung sondern eben nur die tiefstmögliche Einsicht in den Atemkreis der Dinge. Nur in seinem Verfall und jenseits aller Blendung durch Vorutosität und Präsenz erkennen wir das Wesentliche, weswegen der „Alte Meister“ immer deutlicher zeigt, worauf es ankommt. Er will nichts mehr bewirken, nicht mehr brillieren, nicht mehr „sich zeigen“, ja  er kann dies alles oft nicht einmal mehr besonders gut, eben weil er schon alt ist.  Doch genau dadurch treten die wesentlichen Züge dessen heraus, worauf es ankommt. Jun-ichiros Beispiel ist ein alternder No-Spieler, ein anderes findet er in einem Waka von „Saygo“: „Am Yoshino-Berg /dachte ich nicht der Wegmarken/ vom letzten Jahr/strebe nach Blütenorten/die ich noch nie geseh'n..:“   Das innere Drängen angesichts des schnellen Vergehens einer Glücks-Situation, das Nichtbeachten der Wegweiser...  - Den trauernd subtilen Genuss einer Schönheit in ihrem Vergehen kennt natürlich auch Europa. Mono no Aware ist vom sublimen Bildnis des dorian Grey bis zu den Niederungen des Chabby chic auf eine gewisse Weise längst international und es also durchaus naheliegend wenn ein Europäer  Zen und Hölderlin mit dem Hinweis auf aware verbindet, auf die erkennende Melancholie im Atemkreis der Dinge  Das Hinfällige, die japanische Morbidität in so mancher Hinsicht und die ständig auftauchenden Totenschädel Bölls zwischen  hingetuschten Strichen – und auch die Zeilen Hölderlins:  „Wozu dichten in dürftiger Zeit?“  - Eben!

 

Man kann diese Sensibilität  für den Atemkreis der Dinge mit antikem Pathos als besonderes japanisches

Verständnis für die  „Flüchtigkeit des Lebens“  erläutern, oder  mit der die Fähigkeit, in der Schönheit die

Zerbrechlichkeit zu erkennen und das Zerbrechliche selbst als das Schöne, das damit nicht nur das Vielversprechende der westlichen Helena als dem „griechischen Feuer“ und der Verlockung, sondern auch die Einstimmung in ihren Verlust ist, weil man eben das Wesen der Dinge durchschaut. Aber selbst damit wäre man vielleicht schon wieder zu weit auf dem „westlichen“ Weg gegangen, geht es doch eigentlich eher um eine Art milde Freude über unsere immer vorhandene Möglichkeit, den Tod wissend zu sublimieren indem wir den Lauf der Dinge wirklich anerkennen. Dao! - weswegen es nun auch kein Geheimnis ist, dass der Buddhismus hier sein mildes Licht ausströmt und auf die Dinge  (und Menschen) wirft, die wir lieben aber auch wieder loslassen müssen, die sich in idealen Momenten zusammenordnen, aber auch wieder  verlieren wie ein Liebespaar, dessen Liebe die Gnade des Bleibens versagt ist. So gehört also die Unbeständigkeit zu Schönheit und Welt, und René Böll zum Zen.

Etwa in der englischen Übersetzung „The Poetics of Motoori Norinage – A Hermeneutical Journey (transl. And ed. By Michael F. Marra, 2007 University of Hawai'i press.  (japan. engl.) pp 172 ff. „On Mono no Aware“ 2   S.173 a.a.O.

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